Armin Wildermuth

FARBE UND SKULPTURALES DENKEN

Glaubte man noch in den 60er-Jahren mit dem Begriff Objektkunst eine eigene Kunst-Gattung neben der Skulptur – (die sich von der Plastik ebenfalls nicht mehr unterscheiden lässt) – erfasst zu haben, so erinnert dies heute schon an vergangene Spiegelfechterei. Unver­sehens hat sich der Bereich der Skulptur der­art erweitert, dass er heute – wie Tony Cragg einmal sagte – neu bestimmt werden muss. Sicher ist es das Verdienst der nicht mehr dem „Objekt“ huldigenden Objektkunst das skulpturale Denken in seinen eigenen Grund verwiesen zu haben. Das brave Objekt ist durch die Entdeckung, dass alles Sehen auch Tätigkeit und Gestalten ist, zu einem höchst dynamischen und im weiteren Sinne sogar le­bendigen Wesen geworden. Es verharrt nicht mehr in stumpfer Raumpräsenz, in sich ver­schlossen und nach aussen den Widerstand des Materials manifestierend, sondern ist kon­zentriertes Erscheinungsgeschehen, das sei­ne eigene Freiheit im Raum beansprucht und zur Darstellung bringt. Das aktive Auge befreit das Objekt zu seiner Darstellung als Skulptur. Das haben die Dinge oder Objekte erfahren, seit sie als „objets trouves“ in den Horizont der Kunst gerieten und ein Eigenleben veränder­ten Erscheinens erlangten. Mag sein, dass der klassische Sinn von Skulptur, wie ihn Hegel noch in seiner Aesthetik entfaltete, nach sei­ner Zerstörung wieder erinnert werden kann. Inbegriff der Skulptur war die Stein geworde­ne oder aus dem harten Material sich heraus­ringende menschliche Gestalt. Skulpturen als Göttergestalten waren die Vorbilder, auch in einer christlichen Zeit, in der es keine Götter mehr gab, nur einen Gott, der zwar seine eige­ne Bildlichkeit verneinte, doch den Menschen zu seinem Ebenbild erklärte. Nun, im Zeitalter der als kognitive Illusion entdeckten Welt und der erfundenen Wirklichkeit – bis hin zur virtu­ellen Realitäts-Phantastik – besitzen die Din­ge eine Eigenmacht – gerade dadurch, dass sie nicht mehr als fremde Materialität auftre­ten, vielmehr als vom Menschen erfundene und durch seine Chemie produzierte Stoffe. Ma­terialität als verwirklichter mensch-her Geist- das wäre eine neue Formel, an der Hegel viel­leicht Gefallen gefunden hätte.

Nun tritt nicht mehr der Mensch in seiner kör­perlichen Gestalt als Zentrum der Skulptur auf, sondern die Gebilde und die Materialien, die sein wissenschaftlich-technischer Geist in den Horizont der Erscheinungen ruft. Das ist tat­sächlich ein Schritt, der über den bisherigen Begriff von Skulptur hinausführt. Die unge­zählten neuen Materialien, zu denen an jedem Tag neue hinzutreten, sind noch lange nicht vom skulp-turalen Denken erfasst, geschwei­ge denn ausgeschöpft worden. Dies ist umso erstaunlicher, als der Tag nicht weit entfernt ist, an dem wir vereint in den virtuellen Rea­litäts-Horizonten, neue Skulpturen sehen wer­den, deren Stoff eine reine virtuelle Phänome­nalität sein wird. Der Widerstand des Materials verschwindet zwar, doch an seine Stelle wird der Ueberreichtum der Phänomenalität selber treten. Es werden also Künstler und Künstle­rinnen erforderlich sein, um die sich abzeich­nenden Möglichkeiten auszuloten, die über grosse und doch einfache Phantasie verfügen, nicht zuletzt aber auch über umfassendes technisches und wissenschaftliches Wissen.

Nach diesem etwas ausführlichen und fu­turistischen Präludium wollen wir uns den Skulpturen von Mathias Lanfer zuwenden. Man könnte vermuten, dass wir ihn gleich in die vorderste Reihe der sich abzeichnenden neuen Skulpturalität versetzen werden. Das wäre doch zuviel des Guten, und man täte diesem jungen Künstler, der hier zum ersten Mal eine Einzelausstellung zugebilligt erhielt, keinen grossen Gefallen. Zudem ist der Schritt in die neue Skulpturalität bereits getan. Doch dieser Künstler verdient Beachtung, weil er experimentell einen Gedanken durchspielt, der das skulpturale Denken schon immer her­umgetrieben oder den es schlicht und einfach verdrängt hat. Diese Synthese von Skulptur und Farbe wird von Mathias Lanfer in einer überraschenden Weise materialisiert und phä­nomenalisiert. Vorerst müssen wir aber einige Hinweise auf seine Werke machen.

Die Skulpturen präsentieren sich als techni­sche Artefakte, die in ihrer unersichtlichen Funktionalität auf ihr eigenes blankes Dasein verweisen. Wir sehen Röhrenstücke, an deren einem Ende jeweils ein Kranz von roten Kunst­stoff- Wucherungen oder präzis gestalteter Kunststoff-Konstrukte sich befindet. Die Grös­se der Skulpturen, ca. 80 cm hoch, wie auch die Synthese von Röhre und Kunststoffkranz sind durch technische Vorgaben bestimmt. Die roten Wucherungen bilden sich durch wieder­holtes Eintauchen in ein Kunststoffbad. Beim Herausziehen der vorbereiteten Röhre, deren Form sich technisch am besten eignete, ent­stehen Tropfen, die sich zu nadel- oder zap­fenartigen Gebilden verlängern. Durch ausge­klügelte Verfahren können aber auch präzise Figuren produziert werden, wobei der Künstler zum Meister von technischen Steuerungspro­zessen wird. Mathias Lanfer benutzt bewusst den ganzen Spielraum zwischen Zufallswu­cherungen, die sich wie von selbst erschaffen, und den genau programmierten Prozessen, die geplante Resultate zeigen müssen.

So entsteht ein faszinierendes Oszillieren zwischen technoiden und materialen Assozi­ationen. Gerade die durch den Tropfvorgang entstandenen Gebilde lassen eine materiale Eigenwirklichkeit des Kunststoffes erkennen, vergleichbar dem flüssigen Wachs, der flies­senden Lava, dem eiskalten Wasser, die durch Abkühlung in den Zustand der Starre überge­hen. Wir denken aber auch an das langsame Wachstum der Kristalle, der Stalaktiten und der Stalagmiten, der Atolle und der Vulkane, Prozesse, die so etwas wie ein Wachstum des Materials anzeigen und damit eine Analogie zum Organischen bilden. Sachte lässt Mathi­as Lanfer seine technischen Artefakte in einen Bereich quasi-belebter Techinizität hinüber­gleiten. Das aktivierte Auge ergattert so einen befremdenden Einblick in das innere Gesche­hen, das sich in der intelligent gewordenen Technik vollzieht.

Kommen wir aber zurück zum Problem, das wir bereits angesprochen haben, auf das Pro­blem von Skulptur und Farbe. Es muss noch beigefügt werden, dass der Kunststoff selbst rotfarben ist, so dass der Eindruck einer sich selbst erschaffenden Rotmaterialität entsteht. Mit anderen Worten: die Farbe wird selbst zum Stoff. Roter Stoff und rote Farbe sind identisch. Das Farbmaterial wird so zum eige­nen Träger, wenn der Begriff Träger überhaupt hier noch einen Sinn besitzen soll. Farbe ist nicht mehr das Zusätzliche, das Aufgetrage­ne, das dem tragenden Untergrund Fremde, das Oberflächliche, vielmehr wird das, was in der englischen Sprache „paint“ heisst, derart materialisiert, dass es zur Selbstmanifestation des Farbstoffes kommt. Dies kann in der Ma­lerei nie erreicht werden. Auch wenn sie sich auf die drei Primärfarben konzentriert, immer werden es Farben auf einem materialen Un­tergrund sein, der sich in ihnen bemerkbar macht.

Phänomenologisch ist der Befund klar, gibt es doch keine materiale Erscheinung, die farblos ist. Auch das farbloseste Ding ist eben farbig. Auch die Dämmerzustände oder durch Licht­arragements erzeugten färb-1 losen Zustände sind, genau genommen, immer noch mit einer Farblichkeit verbunden. In diesem grund-1 sätzlichen Sinn ist die Farbe keineswegs et­was Zusätzliches und den Dingen Hinzuge­fügtes, vielmehr l gehört die Farbe stets zum „Wie des Erscheinens des Erscheinenden“. Diese Materialgebundenheit der Farbe, die sich auch bei Atmosphären, Landschaften, Himmelszuständen findet, tritt durch das Licht erst voll in die Erscheinung, gewinnt aber durch es eine Eigenständigkeit, so als ob sich die Farben von den Dingen ablösen könnten. Es entsteht ein eigener Farbraum, in dem es mehr oder weniger differenzierte Farberschei­nungen gibt. Wir schreiben es, allzu psycholo­gisch orientiert,der subjektiven Wahrnehmung zu, dass unsere Aufmerksamkeit in diesem Farbraum Distanzen und Nähe unterschei­det. Dass die Farben selbst eine räum schaff ende Potenz besitzen, wird gerne übersehen, obwohl die Maler oder Farbphotographen gut mit diesen räumlichen Potenzen umzugehen verstehen. Nicht umsonst schreibt man dem Rot eine Signalwirkung zu und setzt es an kri­tischen Stellen als Warnung ein.

Man kann die Malerei als einen verzweifelten Versuch verstehen, die reine Farbwelt von den Dingen abzulösen und sie zu ihrer eigenen Wirklichkeit zu befreien. Für den Maler sind die Material-Erinnerungen, sofern er solche ge­brauchen will, Probleme der Farbe. Wie auch immer er in den Bereich reiner Farblichkeit ein­dringen will, er kann doch die Farbe als Farb­stoff nicht überwinden. Verglichen mit dem Maler ist der Bildhauer weniger an der Farbe interessiert, geht es ihm doch um das Ding im Raum. Zur Dinglichkeit des Dinges gehört natürlich auch die Farbe, doch oft in einem beinahe störenden Sinn. Farben können ge­rade wegen ihrer eigenen räumlichen Potenz von der Skulptur ablenken und sie zum Träger eines Farbgeschehens machen, das selbst nicht skulptural ist. Es herrscht eine Spannung zwischen Skulptur und Farbe, die der Klassi­zismus durch den Ausschluss der Farben zu lösen glaubte. Er griff also zur Monoochromie, nämlich zum Weiss, ohne dies aber als Mono­chromie zu bezeichnen.

Mathias Lanfer arbeitet mit monochromem Rot. Es ist ein helles, leicht aggressiv wir­kendes Rot. Wie wir schon darlegten, sind seine Skulpturen sich selbst manifestierende Farbstoff-Gebilde, die ihre Eigenständigkeit sehr robust durch die gebündelten Konstruk­te oder durch Zacken, die zielstrebig in den Raum hinausswachsen möchten, bekunden. Man kann sich fragen, warum Lanfer auf der Monochromie besteht, denn grundsätzlich könnten die Kunststoffbäder auch gemisch­te Farben ertragen. Das strenge Rot verbietet eine illustrierende Farbgebung, die auch dem immanenten Charakter der technischen Per­fektion und Funktionalität angemessen ist. Im technischen Betrieb herrschen Signale und möglichst eindeutige Zeichen. Jede un­nötige Ablenkung ist verpönt. Diese Rigoro­sität der farblichen Funktionalität verwendet Lanfer gerade für das, was zwar aus dem technischen Prozess hervorgeht, aber der technischen Verwertung nicht dient. Das Röh­renstück lässt sich identifizieren, doch seine monochromen Kunststoff-Konstrukte verlan­gen eine andere Sicht.

In der Monochromie liegt ein Funktionalität grosser Disziplinierung. Es stellt sich zwar auch eine irritierende Fremdheit und Kühle ein, die aber so etwas wie eine konstrukti­ve Rationalität ausstrahlt. Man muss diese Wendung mitmachen, ansonsten entgleitet einem der Sinn dieser Skulpturen. Ist es nicht unangebracht, hier von Sinn zu sprechen? Die Sinnkategorie ist in jedem Fall ein Spiel, fordern uns doch diese Skulpturen in ihrer technischen Disfunktionalität heraus und las­sen sie scheitern. Sie machen uns klar, dass wir funktional verweisendes Denken hier an­halten müssen und uns der Wucht, ja dem Er­schrecken vor der abliegenden Technik nicht verschliessen sollen. Nur eine monochrome Farbgebung wird der hier leitenden rationalen Strenge gerecht.

Warum wählt Lanfer rot und nicht etwa schwarz oder auch eine andere Farbe? Sicher muss einiges für das Rot sprechen. Es kommt dem Charakter dieser Skulpturen am besten entgegen. Rot ist ebenso nach ausssen als nach innen gerichtet. Es kann anspringen, ag­gressiv werden, wie Feuer wirken, über sich hinausdrängen und eine selbständige Macht über der eigenen Oberfläche gewinnen. Die­ses aus sich herausquellende Moment wird in der sich selbst erschaffenden Farbmaterialität konkretisiert. Rot birgt auch stets einen dunk­len Untergrund in sich, der sich wie der eigene Träger bemerkbar macht. Das Rot trägt so sich selbst oder erschafft sich seinen eigenen tra­genden Grund. Es gibt rote Farbvarianten, die sich in sich selbst versenken und in sich unter­gehen möchten, es gibt aber auch Rotfarben, die ganz Oberfläche sind um einer Wut von Leichtigkeit über sich hinausgelangen wollen. Es ist ein Moment des Sich-auf-sich-selbst-stellen, das jede Skulptur zu etwas Eigenstän­digem macht. Natürlich besitzt auch das Blau einen dunklen Innenbereich, doch kann ihm kaum das Aus-sich-heraus-treten gleicherwei­se wie dem Rot zugesprochen werden. Das Gelb lässt eigentlich keinen Innenstau an Dun­kelheit zu, ist doch seine auflösende Kraft der­art stark, dass nichts in ihm ruhen will. Selbst das goldene Gelb bewegt sich in sich. Sein Lichtcharakter scheidet alles Beruhigende aus sich aus. Die Skulptur aber ruht in sich selbst, gleichgültig ob sie sich bewegt oder still steht. Ganz anders wäre es mit der Farbe schwarz. Sie stellt still, verbirgt die Farben und hält die Grenze zwischen Erlöschen und Aufgang, ist Ende und Verheissung zugleich. So hält das Schwarz alles an sich, bleibt an der äussers­ten Grenze des Lichts und zögert, dem Licht sich preiszugeben.

Lanfer bezeichnet seine Skulpturen als „Ther­moplaste“. Dass hier ein Materialbegriff für die Benennung von Skulpturen führend wird, ist ein Indiz für die Integrierung des Materials in die skulpturale Gestaltung Der

technische Hinweis ist wichtig: thermoplas­tische Kunststoffe schmelzen bei Erwär­mung bereits schon bei niederen Graden. Die Thermoplaste machen den labilen Zu­stand unserer materialen Dingwelt bewußt, die nur in einer bestimmten Bandbreite von Wärmegraden für und mit uns zum Erschei­nen kommt, einem metaphorischen Sin­ne können wir sagen, dass alles Maleriale, das wir sehen und erfahren, einen Abküh­lungs- und Erstarrungsprozess hinter sich hat. Doch so fest und siecher die Zacken von

Lanfers Skulpturen in den Raum stossen, auf­grund ihrer thermoplastischen Qualität ist der

Enthärtungs- und Entskulpturalisierungspro­zess latent. Bei 70 Grad Celsius holt sich der Rotstoff seine Gestalten wieder zurück in den Zustand des Flüssigen, des Chaos oder des Potentiellen. Aus dem flüssig gewordenen Thermoplast quillt immer nur das Rot in seiner Differenzlosigkeit. Es gibt nichts, was hinter diesem einen tünde – farbige Selbstgleichheit.

Durch diese Überlegung stellt sich eine Um­kehrung des Gesichtspunktes ein. Die Farbe beginnt zu dominieren – als Farbstoff und als Farbe. Man könnte dadurch auch sagen, dass die Skuplturen zu Manifestationsformen der Farbe und des einen, durchgehenden Farb­stoffes werden. Die Farbe selbst entzieht sich dem hier skizzierten Entskulpturalisierungs­prozess. Durch die Monochromie wird die Un­möglichkeit ihres Verschwindens gewährleis­tet. Die Skulpturen tauchen aus dem Rotstoff auf und gestalten ihn. Das ist die Umkehrung des üblichen Verhältnisses von Skulptur und Farbe.

Lanfer leistet durch diese geistige Durchdrin­gung der Materialität einen eigenständigen Beitrag zum skulpturalen Denken.

 

Armin Wildermuth