„Immerzu in Bewegung“
Thomas Hirsch
Mathias Lanfer – Skulpturenpark Waldfrieden – kunst & gut 02/17
Aufschlussreich ist ein Video auf der Homepage von Mathias Lanfer: „H_Milch, #5“ (2015): Ein Männergesicht ist einheitlich mit einer weißen Creme bedeckt, die wie eine Maske wirkt. Beide Hände tragen in symmetrischen Bewegungen die Creme auf und streichen sie glatt und nehmen sie partiell wieder ab und so fort. Der Mund öffnet sich kurz zu einem dunklen Loch, die dichte Masse zieht Fäden, einzelne Spritzer hängen langgezogen an den Rändern der Maske – dort, wo die Nase sein müsste.Schließlich entfernen die Hände in mehreren Durchgängen die Creme, bis das Gesicht ohne Rückstände zu sehen ist. Zumal im Wissen um Lanfers Skulpturen: Es geht in diesem Loop um plastisches Handeln mit Bezug zum Menschen, um die Demonstration eines fortlaufenden Prozesses in seinen allmählichen Veränderungen.
Mathias Lanfer, der 1961 geboren wurde und an der Rijksakademie Amsterdam und der Düsseldorfer Kunstakademie bei Tony Cragg studiert hat und heute in Heiligenhaus arbeitet, ist Bildhauer. Er interessiert sich im Besonderen für die Vorgänge, aus denen heraus skulpturale Prozesse und Werke entstehen. Seit den 90er Jahren sind Metall und thermoplastischer Kunststoff seine favorisierten Werkstoffe, die nur in aufwändigen technischen Verfahren in eine Form gebracht werden können. Den Aufwand und das Zusammenspiel von Vorausplanen, Zulassen und spontanen Entscheidungen sieht man den Skulpturen später kaum an. Das betrifft das Schmieden und Biegetechniken am Roboter ebenso wie den partiellen Überzug mit dem Kunststoff mittels Eintauchvorgängen in einer „thermischen Wanne“, wobei das Fließverhalten an den Fäden und unregelmäßigen Verdichtungen ablesbar bleibt. Die Skulpturen verfügen über Spiralen und regelmäßige Stege, Schichtungen und Lamellen, die an Turbinen – überhaupt an technische Apparaturen erinnern und doch etwas Wesenhaftes besitzen. Sie wirken vital und filigran, sie verbinden kantige mit biomorphen Partien, sind durchsichtig oder spiegeln. Die konvexen Wölbungen und die verschobenen Reihungen evozieren einen Sog der Bewegung, und zur Betrachtung der Skulpturen gehört die Umrundung.
Das gilt erst recht für die jüngste Werkgruppe der „SPAMS“, die im Zentrum der Ausstellung im Skulpturenpark Waldfrieden steht. Die Skulpturen befinden sich auf niedrigen weißen Sockeln. Ein amorpher, seitenweise gepresster Stahlblock liegt kompakt und massig auf der Sockelfläche auf. Verbunden ist mit ihm eine große ellipsoid geschwungene Form. Umfangen von einer breiten Stahlrahmung, wölbt sich die milchig transparente Oberfläche auf beiden Seiten unterschiedlich nach außen. Die Konstruktion ist in sich verdreht, wobei die Kontur des Rahmens als Linie im Raum wahrzunehmen ist. Bei jeder „SPAM“-Arbeit nehmen der Block und der geschwungene Teil andere Positionen ein. Die Konstruktion ist bis zu 2 Meter hoch, sie weckt Assoziationen an ein Segel mit einem Anker. Ein Gewicht zwischen 750 und 800 kg – trotzdem wirken die Skulpturen leicht – überhaupt basieren sie auf Gegensätzen: auf geschlossenen und offenen Linien, auf Volumen und Flächen im Raum, steif und dynamisch, stabil und labil etc.
Wieder anders wirkt die Skulptur „Laufenden Meter“ aus Aluminium (2001 – 20016), von der eine zuletzt im Kunstverein Krefeld ausgestellt war. Diese Skulpturen bestehen aus langgestreckten Aluminiumschienen mit dichten Reihen eng aufeinanderfolgender Stifte, die rundum und auf unterschiedliche Höhe gesetzt sind und zu vibrieren scheinen, plötzlich an Korallen erinnern – nein es sind seine Schulsohlen, die uns vielleicht auch noch daran erinnern lassen, wie ironisch und humorvoll die Skulpturen von Mathias Lanfer auch noch sein können.. Aus dieser Werkgruppe ist eine Arbeit in der oberen Halle im Skulpturenpark Waldfrieden zu sehen – eine gelungene Fortsetzung der Ausstellungen nach der sensationellen Schau mit Anne und Patrick Poirier.
Thomas Hirsch
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